Verabschiedung Sepp Odermatt

Abschiedsworte vom bfzs

Lieber Sepp

Mehr als Dein halbes Leben bist du beruflich und ehrenamtlich auf lokaler und nationaler Ebene in der Behindertenarbeit tätig gewesen. Und unser Forum hast Du seit Gründung im Jahre 2004 massgeblich mitgeprägt. Jetzt möchtest du kürzertreten. Wir werden Deine stetige Präsenz, Dein Engagement, Deine weitsichtigen Überlegungen und Deine sympathische Art auf Menschen zuzugehen sehr vermissen.

Wir wünschen Dir für Deine persönliche Zukunft mehr Zeit für deine Hobbies: Lesen, die Natur und Tiere beobachten, …, Gesundheit, lebenslange Autonomie und ein starkes Herz, um die Freuden und Schönheiten des Lebens zu sehen und geniessen zu können.

Dein bfzs-Team

Lesen Sie das persönliche Interview

Was sind die wichtigsten 5 Ereignisse in deinem Leben?

1. Meine Geburt am 9. Februar 1954, denn ohne diese gäbe es mich und meine ereignisreiche Lebensgeschichte nicht.

2. Unfall als Dachdecker im Januar 1979 mit einschneidenden Folgen, komplette Paraplegie unterhalb vom 5 Brustwirbel.

3. Heirat mit Silvia im Oktober 1985 und die Geburt von Regina 1995 und Manuel 1996 mit dem guten und schönen Familienleben.

4. Rollstuhlsport mit Teilnahme an der Weltmeisterschaft 1982 und den Olympiaden 1984, im Winter (Langlauf) und im Sommer Leichtathletik und Marathonfahren. 15 Jahre im Vorstand vom Rollstuhlclub Kriens, davon 6 Jahre als Vereinspräsident.

5. Umschulung und Arbeit nach Unfall: Diplom-Handelsschule, 9 Jahre Sachbearbeiter bei KMU, dann Weiterbildungen und rund 30 Jahre Tätigkeit als Stellenleiter «Hindernisfrei Bauen Luzern». Im Februar 2019 durfte ich in Pension rollen und geniesse jetzt mit meiner Frau den Unruhestand.

Kannst du heute deinem Unfall etwas Positives abgewinnen?

Ja, ich versuchte das Beste aus der Situation zu machen und ich denke es ist mir recht gut gelungen. Vieles habe ich erreicht und erleben dürfen. Ich behalte gerne das Positive und die schönen Erlebnisse in guter und dankbarer Erinnerung und bin zufrieden.

Wenn du nochmals 20 Jahre alt wärest, was würdest du anders machen?

Habe ich nicht überlegt, denn da war ich ja 48 Jahre jünger als heute. Das Vergangene ist Geschichte und nicht veränderbar. Verlauf meines Lebens ohne Unfall???

Erzähle kurz deine Lebensgeschichte

Lebensjahre ohne Behinderung

Ich wurde am 9. Februar 1954 als Bergbauernsohn geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen in der Bergnatur auf. Ein langer Schulweg nach Maria-Rickenbach und die vielseitigen Arbeiten auf dem Feld und im Wald förderten Kraft, Ausdauer und Durchhaltevermögen. Diese Eigenschaften waren in meinem Leben noch vielfach nützlich.

Da mein Vater leider früh verstarb, folgten nach der Schulzeit einige Arbeitsjahre auf dem elterlichen Bergbauern- und Alpbetrieb, sowie im Winter in der Wald- und Forstwirtschaft. Als mein Bruder volljährig wurde übernahm er den Betrieb. Mit der Freude im Freien zu Arbeiten lernte ich dann Dachdecker.

Folgenschwerer Unfall in Emmetten

An einem kalten und nebligen Wintertag im Januar 1979, ereignete sich der fatale Ausrutscher auf einem Steildach mit Sturz in die Tiefe. Folgen waren: ein Trümmerbruch des 4./5. Brustwirbels mit totaler Schädigung des Rückenmarks, Verletzungen der Lunge, ein Kniegelenkbruch und weitere Verletzungen.

Die Bergung und der Transport geschahen mit dem Krankenwagen, ins Kantonsspital Stans. Erst für den Weitertransport vom Spital-Stans in die Uniklinik in Basel wurde ein Helikopter eingesetzt. Die Akutphase mit Operationen und Intensivstation erfolgten in der Uniklinik. Beim Aufwachen, nach einigen Tagen Koma, war die Nachricht über die Unfallfolgen (komplette Paraplegie) ein riesiger Schock. Sehr schwierige Verarbeitungsarbeit war angesagt. Das erste Mal in den Rollstuhl gesetzt wurde ich nach dem ich 12 Wochen im Bett, ruhig auf dem Rücken liegend, verbracht hatte. Denn damals wurden die Rückenwirbel noch nicht operativ stabilisiert.

Behandlung und Rehabilitation im Paraplegikerzentrum in Basel:

Dort wurde geübt, als Paraplegiker, mit der neuen Lebenssituation umzugehen. Alltägliche sonst selbstverständliche Verrichtungen mussten, soweit möglich, mühsam neu erlernt und was mit dem Rollstuhl nötig war, geübt werden.

Bald kam wieder Lebensfreude, ja sogar sportlicher Ehrgeiz auf. In der Therapie und beim sportlichen Angebot trainierte ich konsequent und intensiv. Neben Geschicklichkeit im Rollstuhl, Krafttraining, Schwimmen und Ballspielen, wurde Tischtennis, Leichtathletik (Diskus- und Speerwerfen, Kugelstossen, Schnellfahren) geübt.

Als Devise galt: Die Behinderten müssen und die Nichtbehinderten sollen Sport treiben. Kraft, Technik, Geschicklichkeit und Ausdauer erhöhen die Lebensqualität entscheidend, denn wer rastet der rostet.

Zurück zum Alltagsleben und zu Arbeit und Sport:

Nach 7 Monaten Spital-/Rehabilitationsaufenthalt galt es das Leben möglichst selbständig zu gestalten und zu bewältigen. Ein auf Handbedienung umgebautes Auto brachte Mobilität und einiges an spontaner Freiheit. Mit dem Auto war der Weg zur Schule und später zur Arbeit selbständig möglich. Nach kurzem Heimaufenthalt mietete ich eine rollstuhlgängige Wohnung.

Der Besuch einer privaten Handelsschule bildete die Basis für eine Bürotätigkeit. Die Begeisterung für den Rollstuhlsport nahm zu und füllte einige Jahre fast die ganze Freizeit aus. Mein Trainingsfleiss wurde mit vielen Siegen und Podestplätzen, national und international, belohnt. Erfolgreiche Winter- und Sommerolympiaden 1984 sowie Weltmeisterschaften und Marathonrennen bleiben als unvergessliche Höhepunkte in bester Erinnerung. Ein Teil der schönen weiten Welt durfte ich dabei sehen und erleben. Ich traf interessante Personen und bleibende Freundschaften entstanden bei diesen Sportaktivitäten. Lebensmotto: Lebe jeden Tag bewusst und geniesse ihn (manchmal auch die Nacht).

Was hatte dich fast 20 Jahre im Behindertenforum gehalten?

Das stets angenehme und sehr engagierte Team, das verschiedene Behinderungsarten mit «Herzblut» vertrat. Herzlichen Dank für diese gute Zeit! Ich bin selbst betroffen und wollte Positives bewirken. Für meine Tätigkeit «Hindernisfrei Bauen» im öffentlichen und privaten Bereich erhielt ich sehr wertvolle und wichtige Inputs, vor allem für den Bereich hindernisfreie Mobilität. Denn bestehende bauliche Hindernisse sind zu entfernen und keine neuen dürfen entstehen.

Ideen für das Behindertenforum?

Junge interessierte Personen mit Behinderungen sollten neu ins Behindertenforum kommen und ihre Bedürfnisse einbringen. Die Öffentlichkeit ist auf allen Ebenen darauf hinzuweisen, dass umfassende Inklusion von Menschen mit Behinderungen ein Menschenrecht ist (Diskriminierungsverbot). Hindernisfreiheit dient allen Menschen, ist kostengünstiger als teure Speziallösungen.

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