Interview mit Ivo Egger

Ivo Egger

Ivo Egger

Portrait

Ivo Egger, 46, arbeitet als Systemanalytiker bei der Firma Schindler AG in Ebikon. Er ist verheiratet und hat 2 Kinder. Ivo Egger ist blind als Folge einer Netzhautdegeneration. 2008 wurde er in den Gemeinderat von Buchrain gewählt. Im Vorfeld seiner Wahl äusserten seine politischen Gegner ernsthafte Zweifel, ob er aufgrund seiner Behinderung einem solchen Amt gewachsen sei.

Du bist kürzlich zum Bildungsvorsteher der Gemeinde Buchrain gewählt worden.
Wie gefällt Dir dieses Amt?
Es gefällt mir sehr gut. Es ist spannend zu erfahren, wie eine Gemeinde funktioniert und was es dazu alles braucht. Ich bin hoch motiviert.

Du bist sehbehindert. Wie verarbeitest Du die Flut von Informationen?
Ich bin gut organisiert. Das bin ich von meinem Job her gewohnt. Ich habe gelernt, Worte in Bilder zu übersetzen. Es mag komisch klingen, aber ich bin ein visueller Mensch. Ich setze mir Bilder aus verschiedenen Informationen zusammen. Auf meinem Laptop habe ich eine spezielle Software, die mir Dokumente vorliest. Statt quer zu lesen habe ich mir die Technik des Querhörens angeeignet. Elektronisch vorliegende Dokumente kann ich in der Regel sofort hören. Gedruckte Dokumente hingegen bedeuten für mich einen Zusatzaufwand, weil ich diese zuerst einscannen muss. Da frage ich manchmal auch um Unterstützung. Und es gibt Dokumente wie z.B. Bau- oder Zonenpläne, die ich mir erklären lassen muss. Auf der Gemeinde sind die Leute sehr zuvorkommend. Das macht mir die Arbeit natürlich leichter.

Hast Du ein speziell gutes Gedächtnis?
Ja, ich denke, ich habe ein gutes Gedächtnis, wahrscheinlich durch das tägliche Training. Wenn ich ein Referat halte, muss ich mir alles einprägen, weil ich ja keine Notizzettel verwenden kann. Da bin ich noch nicht so gut, wie ich sein möchte.

Du bist Mitglied der SP. Seit wann bist Du politisch aktiv?
Aktiv bin ich noch nicht so lange, aber ein politischer Mensch war ich schon immer. Durch die Parteiarbeit habe ich gemerkt, wie viele Einflussmöglichkeiten es in einer Gemeinde gibt. Das hat mich noch mehr motiviert, mich zu engagieren.

Wie bist Du dazu gekommen, als Bildungsvorsteher zu kandidieren?
Ich habe dieses Amt nicht direkt angestrebt, sondern wurde angefragt. Bis vor drei Jahren war ich in meinem Beruf mit Projekt- und Teammanagement derart intensiv gefordert, dass so ein politisches Amt gar nicht drin gelegen wäre. Da wäre meine Familie zu kurz gekommen. Da ich aber in eine mehr beratende Tätigkeit gewechselt habe, hatte ich Ressourcen frei und war interessiert für ein neues Engagement.

Im Vorfeld Deiner Wahl wurde Dir unterstellt, Du könntest diesem Amt wegen Deiner Behinderung nicht gewachsen sein. Wie bist Du damit umgegangen?
Ich war darauf vorbereitet. Meist habe ich diese Bedenken indirekt gehört, direkt wurde ich darauf kaum angesprochen. Viele Leute können sich nicht vorstellen, wie ich das mache. Deshalb habe ich in der Öffentlichkeit von mir aus erklärt, wie ich diese Herausforderung angehen werde. Ich habe mich den Fragen der Leute immer wieder gestellt.

Hat Deine Behinderung im Wahlkampf auch Vorteile gehabt?
Viele Leute fanden es toll, dass ich meine Behinderung meistere und so ein Amt anpacken will. Da habe ich auch Achtung und Sympathie erfahren. Was ich nie wollte, war ein Mitleidsbonus. Ich habe immer wieder klar gemacht, dass ich keine Spezialbehandlung will.
Reagierst Du verletzt, wenn Du merkst, dass man Dir etwas nicht zutraut wegen der Behinderung?
Ich bin froh, dass ich relativ positiv mit meiner Behinderung umgehen kann. Ich sage es manchmal zynisch: Sie ist eine interessante Herausforderung. Statt zu resignieren, kämpfe ich in solchen Situationen umso mehr. Das hilft mir, die Frustration, die es gäbe, gar nicht zu erleben.

Machst Du Behindertenpolitik?
Nein, ich mache Politik für alle. Aber ich bin wegen meiner Behinderung für manche Fragen sensibilisiert und versuche, auch andere zu sensibilisieren und Einfluss zu nehmen. Zudem hat allein meine Präsenz oft zur Folge, dass behinderungsspezifische Aspekte mehr zum Thema werden. Viele Anliegen von Menschen mit Behinderung werden nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Unwissenheit übersehen.

Interview: Daniel Stirnimann BfZs