Dossier: TIXI

Es geht um Gleichstellung

Seit Jahren gibt es in grösseren Kantonen (BE, BS/BL, SG, ZG, ZH und Westschweiz) Taxidienste für Mobilitätsbehinderte, die den ÖV nicht benutzen können.

Seit 2011 auch im Kanton Luzern mit Tixi-Taxi-Bons, nach jahrelangen Kämpfen von Menschen mit Behinderungen. Pro Infirmis ist für die Umsetzung und als Ansprechpartnerin zuständig.

Das Budget von anfänglich 1,4 Millionen Franken für erwartete 1000 Benutzerinnen und Benutzer wurde vorerst nicht ausgeschöpft. Inzwischen ist die Benutzerzahl bis 2016 auf rund 800 gestiegen. Die nicht ausgeschöpften Mittel der Aufbauphase werden voraussichtlich bereits 2017 aufgebraucht sein.

Bereits ab 2017 können daher nur noch Personen mit einer Hilflosenentschädigung berücksichtigt werden. Pro Infirmis, welche sich von Anfang an für tragbare Lösungen für die Betroffenen einsetzte, sieht sich deshalb genötigt, den Vertrag vorsorglich zu kündigen.

Die Tixi-Bons im Wert von 150 Franken monatlich pro Person reichen aber trotz Selbstbehalt (ÖV-Tarif) nur für drei (!) kurze Hin- und Rückfahrten pro Monat. Einkäufe, Freizeit, private Besuche, Weiterbildung werden damit ungenügend abgedeckt. Schon diese bisherige Lösung ist diskriminierend. 2016 hat auch die Schweiz die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, die zur Gleichstellung der Menschen mit Behinderung verpflichtet. Zurzeit erarbeitet der Kanton Luzern zusammen mit Betroffenen ein Leitbild der Behindertenpolitik.

Die Kürzung steht in krassem Widerspruch zur Inklusion behinderter Menschen, die dem Leitbild zugrunde liegt. Diese Missachtung akzeptieren wir nicht.

Es geht hier nicht um Wohltätigkeit, sondern um den Rechtsanspruch der Gleichstellung Mobilitätsbehinderter mit allen anderen Bürgerinnen und Bürgern, die mit dem ÖV oder mit eigenem Fahrzeug selbstverständlich täglich mobil sind.

Wir vom Behindertenforum Zentralschweiz kämpfen mit Betroffenen gegen diese diskriminierende Sparmassnahme und für einen bezahlbaren Behindertenfahrdienst.

Es ist zynisch, wenn der Kanton ein Inklusions-Leitbild erarbeitet, dieses aber in der Praxis sabotiert.

Behindertenforum Zentralschweiz bfzs.ch; Stephan Hüsler, Kriens, Hanne Müller, Horw
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LZ 26. Feb 2017

Kritik am Umgang mit Tixi-Taxi-Bons

Vorstoss Das drohende Aus der Tixi-Taxi-Bons für mobilitätsbehinderte Menschen (Ausgabe von Samstag) ruft Politiker auf den Plan: Kantonsrat Michael Ledergerber (Stadt Luzern) fordert namens der SP-Fraktion die Regierung in einer dringlichen Anfrage zu einer Stellungnahme auf. Er möchte unter anderem wissen, welche konkreten Massnahmen ergriffen werden, damit das Angebot der kostenlosen Tixi-Taxi-Bons weitergeführt werden kann.

Bekanntlich ist der Kanton nicht gewillt, die steigende Nachfrage der Gutscheine ausreichend zu finanzieren. Es kann nicht sein, dass wegen der angespannten finanziellen Lage Aufgaben der öffentlichen Hand unterfinanziert werden und der eingeschlagene Weg einer inklusiven Behindertenpolitik attackiert wird , kritisiert Ledergerber das Vorgehen des Kantons. Dieses widerspreche dem in Bearbeitung stehenden kantonalen Leitbild für Menschen mit Behinderung.
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LZ 22. Feb 2017

Tixi-Taxi-Bons stehen vor dem Aus

SPAREN Immer mehr Menschen mit Behinderung nutzen Gutscheine fürs Tixi-Taxi. Kanton und Gemeinden wollen die stetig steigende Nachfrage aber nicht finanzieren die Vermittlerin Pro Infirmis hat deshalb den Vertrag gekündigt.

Es ist eine wichtige Voraussetzung für ein selbstständiges Leben: das Tixi-Taxi-Angebot für Menschen mit einer Behinderung. Wer aufgrund seiner Beeinträchtigung den öffentlichen Verkehr nicht oder nur eingeschränkt nutzen kann, erhält von der Behindertenorganisation Pro Infirmis pro Monat 15 Bons a 10 Franken. Sie agiert dabei im Auftrag des Kantons Luzern und dessen Gemeinden. Die Gutscheine akzeptieren 28 Tixi- oder Taxi-Unternehmen in den Kantonen Luzern, Ob- und Nidwalden.
Die Gutscheine sind für Fahrten gedacht, die zum Beispiel nicht von der Krankenkasse oder der IV übernommen werden, etwa für Einkäufe oder für den Besuch von Freunden oder der Familie. Dieser Zustupf ist sehr wichtig, da Menschen mit Behinderung meist ohnehin nur beschränkte finanzielle Möglichkeiten haben und die Fahrten schnell ins Geld gehen , sagt Martina Bosshart, kantonale Geschäftsleiterin von Pro Infirmis Luzern, Ob- und Nidwalden, auf Anfrage.
Kriterien für Bons verstärkt
Wer von solchen Gutscheinen für Tixis und Taxis profitieren möchte, muss bei Pro Infirmis einen Antrag stellen. Per Anfang 2017 wurden die Kriterien aber verschärft, wie Betroffene gegenüber unserer Zeitung sagen. Bosshart bestätigt: Seit Anfang Jahr sind nur noch jene Luzernerinnen und Luzerner zum Bezug von Tixi-Taxi-Bons berechtigt, die eine Hilflosenentschädigung beziehen. Wer zudem erst im Rentenalter eine Hilflosenentschädigung erhält, bekommt keine Gutscheine mehr. Betroffen sind laut Bosshart 262 der 760 Personen, die Ende letzten Jahres noch berechtigt waren also mehr als ein Drittel. Bosshart bedauert diesen Entschluss: Für die Betroffenen ist das brutal, ihnen wird ein selbstständiges Leben erschwert.
Der Grund für die strengeren Berechtigungskriterien der Pro Infirmis liege bei der unzureichenden Finanzierung des Auftraggebers, dem Kanton und den Gemeinden. Zusammen tragen sie die Tixi-Taxi-Bons je zur Hälfte. Da seit der Einführung des Angebots im Jahr 2011 immer mehr Personen davon profitieren möchten, steigen automatisch auch die Kosten; der Betrag der öffentlichen Hand seinerseits ist jedoch stark gekürzt worden, wie Martina Bosshart vorrechnet. So war im ursprünglichen Auftrag des Kantonsparlaments 2011 von 1,4 Millionen Franken für zirka 1000 potenziell Berechtigte die Rede. In der Aufbauphase des Projekts haben Kanton und Gemeinden den Betrag um mehr als die Hälfte auf 600000 Franken gekürzt. Und obwohl die Anzahl berechtigter Personen stetig gestiegen ist, wurden die finanziellen Mittel nicht wieder aufgestockt. Mit den uns zur Verfügung gestellten Mitteln konnten wir nicht mehr allen Berechtigten ihre Bons zustellen und mussten die Kriterien gezwungenermassen notfallmässig verschärfen , erklärt Martina Bosshart.
Sie habe sich in der Vergangenheit wiederholt für eine ausreichende finanzielle Unterstützung seitens der öffentlichen Hand eingesetzt. Im Januar letzten Jahres habe es zwischen Pro Infirmis und dem Kanton erste Gespräche gegeben, eine tragbare Lösung für die Zukunft ist aber nicht in Sicht , so Bosshart.
Pro Infirmis: Mittel reichen nicht aus
Tatsächlich: Gestern nun hat Pro Infirmis die Notbremse gezogen, das Angebot steht vor dem Aus: Wir haben beschlossen, den Leistungsvertrag vorsorglich per Ende 2017 zu kündigen , sagt Martina Bosshart. Denn mit den vorhandenen Mitteln könne Pro Infirmis nicht mehr jeder Person genügend Bons zur Verfügung stellen. Eine Minimalzahl brauche es jedoch, sonst verfehle das Angebot seinen Zweck, ein- bis zweimal pro Monat eine Fahrt unternehmen zu können. Zudem hätte die Behindertenorganisation selber ein Restrisiko zu tragen, wenn sie für immer mehr Berechtigte die Bons ausstellen müsste, welche am Ende des Jahres aber gar nicht von der öffentlichen Hand finanziert würden. Wir sind nicht bereit, mit unseren Spendengeldern ein Defizit wegen einer eklatanten Unterfinanzierung einer Aufgabe der öffentlichen Hand zu decken , stellt Bosshart klar.
Kanton unter Sparzwang
Wieso der Kanton Luzern die stetig steigende Nachfrage nicht mehr entsprechend finanzieren kann, ist schnell erklärt: Der Kanton kann aufgrund der aktuell angespannten finanziellen Lage keine Beitragserhöhung gewähren , sagt Daniel Wicki vom Fachbereich Soziales und Arbeit auf Anfrage. Das Angebot muss nun den finanziellen Möglichkeiten angepasst werden , hat er von Pro Infirmis verlangt. Wicki betont, dass man weiterhin Gespräche mit der Behindertenorganisation führen werde. Der Kanton sei an einer Weiterführung des Vertragsverhältnisses weiterhin interessiert.
Derweil hat Pro Infirmis den betroffenen 262 Personen oder deren Beiständen Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie die Tixis oder Taxis anderweitig finanzieren können. Die Betroffenen wurden zum Beispiel darüber beraten, dass sie gewisse Fahrkosten anderweitig über IV oder Krankenkasse abrechnen können. Trotzdem sagt Martina Bosshart: Viele hatten kein Verständnis für die strengeren Kriterien, waren frustriert und verärgert. Denn das wegfallende Angebot lässt sich nicht vollständig ersetzen.
Für die Betroffenen ist das brutal, ihnen wird ein selbstständiges Leben erschwert.
Martina Bosshart
Geschäftsleiterin Pro Infirmis Luzern, Ob- und Nidwalden
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LZ 18. Feb 2017 / Niels Jost