Selbstbestimmt wohnen – auch im Alter

Hanne Müller, bitte erzähle kurz etwas über deine bisherigen Wohnsituationen

Hanne Müller

Hanne Müller

Bis 29 Jahre lebte ich zu Hause mit meinen Eltern. Allerdings war ich 18 Monate als Wochenaufenthalterin in Basel zwecks Motorisierung und beruflicher Tätigkeit.
Und dann gründete ich als Single einen eigenen Haushalt.

Beschreibe uns bitte etwas deine jetztige Wohnung

Wegen meines Kleinwuchs und kurzen Aktionsradius brauche ich vor allem zum Erreichen von Gegenständen und Hantieren z.B. in der Küche mehr Platz in greifbarer Nähe. Dinge, die ich nicht täglich oder selten brauche können in Schränken in der Höhe platziert werden. Beim wöchentlichen Einsatz der Haushalthilfe muss ich mir zuvor immer überlegen, was ich in den nächsten Tagen benötige, sodass man mir das Unerreichbare zurecht legen kann. Küche und Nasszellen sind ganz auf meine Bedürfnisse eingerichtet, Schalter auf meiner Höhe, elektrische Rollladen und Türöffner zur Haustür und Einstellhalle.

Seitdem du bei deinen Eltern ausgezogen bist, hast du immer alleine gewohnt. Wäre für dich eine andere Wohnform theoretisch infrage gekommen?

Diese Frage stellte sich mir nie. Ich stand mitten im beruflichen Aufbau, hatte eine interessante Stelle und wollte mich weiterbilden. In einer Gemeinschaft zu wohnen wäre mir dabei hinderlich gewesen. Ich schätzte es den bisherigen Freundeskreis ausserhalb zu pflegen und auch von dort Hilfen anzunehmen. So war ich in meinen Entscheidungen frei. Besonders während meiner berufsbegleitenden Ausbildung, 10 Jahre nach dem Wohnungsbezug, brauchte ich in der ohnehin kargen Freizeit zu Hause meine Ruhe. Ich hätte in einer Gemeinschaft rein zeitlich nicht viel beitragen können.

Ich hätte mir eher eine Hausgemeinschaft vorstellen können. Teilweise hatte ich die auch bei meiner Wohnsituation. Es wohnten in dem Haus auch einige Personen mit Behinderungen. die Kontakte waren aber freiwillig.

Was gefällt dir an deiner jetztigen Wohnform und an deiner Wohnung?

Hanne im eRolli vor ihrem offenen kleinen Geschirrspühler.Sie stellt ein Glas herein

Hanne in ihrer adaptierten Küche

alles ist auf ihrer Höhe und erreichbar

Dass sie mir viel Platz bietet und ich trotz meines Alters immer noch recht selbständig haushalten kann. Alles was ich oft brauche habe ich in greifbarer Nähe.

Ich kann Bekannte und Freunde einladen, mich aber auch zurückziehen. Meinen Tagesablauf selber strukturieren und dabei auch auf gesundheitliche Probleme Rücksicht nehmen. Spitex und Nachbarschaftshilfe stehen in Notfällen zur Verfügung.

Was könnte besser bzw. anders sein?

Ich wünschte mir, dass der Assistenzbeitrag der IV auch auf AHV Bezüger ausgedehnt würde, um die Hilfe individueller organisieren zu können und auch Kosten zu sparen.
Auch Senior*Innen mit einer Behinderung leben heute länger in den eigenen vier Wänden, weil auch sie eine längere Lebenserwartung als früher haben und dank ambulanter Hilfe Kosten von stationären Aufenthalten sparen.

Falls du in Zukunft einmal mehr Hilfe im Alltag benötigen würdest, wie könnte das gehen?

Ich müsste die Spitex mehr einsetzen, auch für pflegerische Leistungen, die im Moment nur sporadisch notwendig sind. Regelmässige Hilfe für Hausarbeit habe ich zur Zeit nur einen Tag pro Woche. Dazu kommen noch 5-6 Stunden pro Monat für andere Dienstleistungen.

Möchtest du dann gerne weiterhin in deiner Wohnung bleiben?

Spezialbett mit Ablageflächen, Haltebügel und Sauerstoffgerät

Ich möchte so lange wie möglich in meiner Wohnung bleiben. Ohne die speziellen Einrichtungen für meinen Kleinwuchs und den verminderten Aktionsradius, würde eine Fremdplatzierung viel mehr an Hilfeleistungen auslösen: zum Beispiel in einem standardmässig eingerichtem Pflegeheim.

Welche zusätzlichen Dienstleistungen würdest du beanspruchen?

Wohl vor allem Pflegeleistungen und mehr Dienstleistungen für Besorgungen. Begleitdienste etc. Ich wäre mehr ans Haus gebunden. Müsste Aktivitäten ausserhalb noch mehr vorbereiten und planen.

Ist das jetztige Angebot ausreichend oder siehst du Lücken?

Für mich ist es soweit ausreichend, da ich auch auf Nachbarschaftshilfe zählen kann. Hingegen Spitex und professionelle Assistenzdienste sind nicht günstig und haben ihren Preis.

Wie bereits erwähnt wäre ein Assistenzmodell wie bei der IV hilfreich. Es passiert in der Altersarbeit jedoch zur Zeit sehr viel an organisierter Hilfe. Pflegeheimplätze sind immer weniger gefragt oder dann nur in der allerletzten Lebensphase.

Vielleicht arbeitet die Zeit für mich, dass es ausser meiner Wohnung eine für meine Situation bessere und akzeptable Lösung gibt.

Kannst du dir eine Situation vorstellen, bei der du nicht mehr alleine in deiner Wohnung leben möchtest?

Anstelle eines Eintritts in eine stationäre Institution könnte ich mir die Anstellung einer privaten Hilfsperson tagsüber vorstellen, ergänzt durch Spitex (z.B. auch Nachtspitex) und andere Hilfen. So könnte ich weiterhin auf die für mich zugeschnittenen Wohnungseinrichtungen zurückgreifen.

Was wären für dich valable alternative Wohnformen?

Eventuell eine Hausgemeinschaft mit Einzelwohnungen und einem Dienstleistungsangebot.

Zum Thema Wohngemeinschaften

Was muss deiner Meinung nach eine Bewohnerin mitbringen, dass sie sich darin wohlfühlen kann?

Dies hängt von der gesamten Gemeinschaft ab, mit wem sie zusammenwohnt. Sie braucht sehr viel Toleranz, Konfliktfähigkeit und die nötige Zeit sich darauf einzulassen und den vereinbarten Eigenbeitrag zu leisten. WGs in meiner Altersklasse sind jedoch fragiler. Jede ältere Person bringt eine lange Geschichte mit, hat ihre Eigenheiten und ist weniger flexibel als in jüngeren Jahren. Im Alter sind jedoch Stabilität wichtiger als bei der jüngeren Generation.

Was zeichnet eine funktionierende Wohngemeinschaft aus?

Sich aufeinander verlassen zu können erscheint mir ein wichtiger Faktor zu sein. Viele der heutigen Senioren haben bereits Erfahrungen mit WGs in jüngeren Jahren. Diese Gemeinschaften dauerten aber meist nicht über Jahre. Je nach diesen Erfahrungen könnten sie auch die nötigen Voraussetzungen für eine WG im Alter mitbringen oder lieber darauf verzichten.

Welche Chancen bietet eine Wohngemeinschaft?

Könnte bei älteren Menschen gegen die Einsamkeit helfen.

Welche Gefahren und Risiken hat eine Wohngemeinschaft?

Die fehlende Dauerhaftigkeit könnte bei Älteren zum Problem werden. Für sie sind Veränderungen der Wohnsituation schwieriger zu verkraften. Mitbewohner können sterben und die Gemeinschaft muss Veränderungen in der Zusammensetzung bewältigen.

Was denkst du, weshalb gibt es nur ganz wenige Wohngemeinschaften?

Viele Mitbewohnende bringen die nötige Toleranz nicht mit.

Ich persönlich denke eher an Hausgemeinschaften, die genug Rückzugsmöglichkeiten gewähren und ich mir die Gesprächspartner eher aussuchen kann.

Vielen Dank für das interessante Gespräch
Thomas Z'Rotz, bfzs

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