Nationalfondsstudie
Das behindertengerechte Bauen kommt trotz Gesetzen noch oft zu kurz. Eine Nationalfonds-Studie weist nach, dass die Mehrkosten geringer sind als angenommen. Behindertenorganisationen wollen nun dem Recht zum Durchbruch verhelfen.
Das Geld oder schlichtes Desinteresse von Behörden und Architekten führten noch oft dazu, dass bei Neubauten oder Renovationen nicht auf die Bedürfnisse Behinderter geachtet werde, sagte ETH-Architekturprofessor Paul Meyer-Meierling am Donnerstag vor den Medien.
Die von ihm auf Anregung der Fachstelle für behindertengerechtes Bauen verfasste Nationalfondsstudie weise nach, dass das Geld kein so wichtiges Kriterium sein dürfte. Die Untersuchung ging der Frage nach, wie stark konsequentes Denken an die Behinderten das Neu-oder Umbauen verteuert.
Sie kommt zum Schluss, dass Neubauten je nach Grösse zwischen 3,5 (Bauten unter 2 Millionen Franken) und 1,4 Prozent (Bauten zwischen 2 und 5 Millionen) teurer werden, wenn sie behindertengerecht sind. Bei grösserer Bausumme sinke dieser Anteil noch deutlich.
Teurer wird die Sache dagegen bei Umbauten, hier steigen die Zusatzkosten bei kleinen Bauten auf bis zu 15 Prozent. Typische zusätzliche Investitionen sind etwa Lifte, Rampen oder behindertengerechte WCs.
Laut Meyer fliessen heute nur 0,8 Prozent der Erstellungskosten bei Neubauten in die Hindernisfreiheit. Nötig wäre das Doppelte. Das sei deshalb wichtig, weil es am günstigsten ist, wenn Gebäude von Anfang an hindernisfrei geplant würden. Und angesichts einer alternden Gesellschaft werde hindernisfreies Bauen auch für die Gesamtgesellschaft immer wichtiger.
Eine repräsentative Umfrage bei Architekten und Behörden vom letzten Jahr macht ferner deutlich, dass bei den entscheidenden Leuten das Bewusstsein noch gering ist, dass behindertengerechtes Bauen heute auch gesetzlich vorgeschrieben ist.
So wüssten rund 60 Prozent der Architekten in der Deutschschweiz nicht, dass es solche Vorschriften gebe, sagte Michael Siegrist von der Uni Zürich, Verfasser der Befragung. Rund jeder dritte mit Baugesuchen betraute Beamte kenne die Vorgaben nicht. Und die Mehrkosten würden von Architekten und Behörden klar überschätzt.
Vor diesem Hintergrund setzen die Behindertenorganisationen auf mehr Information, wollen aber auch durch gezielte Prozesse bei krassen Verstössen die Öffentlichkeit aufrütteln, wie Joe Manser, Architekt, Zürcher SP-Gemeinderat und Geschäftsführer der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen sagte.
Seit anfangs Jahr bietet das Behinderten-Gleichstellungsgesetz den Organisationen neue Möglichkeiten, auf die Durchsetzung behindertengerechten Bauens zu pochen. Zuvor waren die Regelungen in den einzelnen Kantonen sehr uneinheitlich. So muss bei Wohnbauten neu ab acht Wohnungen behindertengerecht gebaut werden. Strengere Regelungen gibt es bei öffentlichen Bauten.
Die Mehrkosten müssen jedoch zumutbar sein, will heissen, dass sie fünf Prozent des Versicherungswertes des Gebäudes oder 20 Prozent der Umbaukosten nicht übersteigen dürfen. Die Behindertenorganisationen haben ein Klagerecht im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens.
(mu/sda) 01.07.2004 -- Tages-Anzeiger Online